Call_me_Anna

Ich habe, aus Gründen, vor einiger Zeit einen Wochenend-Knigge-Crash-Kurs gemacht. Das muss nun keiner über sich ergehen lassen der mich zum Essen einlädt. Aber wenn man sich fast zwanzig Minuten verspätet, sollte man dies mitteilen und sich auch dafür entschuldigen. Des weiteren honoriere ich es, wenn man dann, auf dem Wege zur anvisierten Lokalität, an meiner Seite bleibt. Vor allem wenn ich, wegen dir, stöckelig unterwegs bin und das Tempo eines Marathonläufers nicht wirklich mitgehen kann. Da kann der Hunger noch so drängen. Nächste Hürde ist dann die Tür. Die Eingangstür. Es ist egal, ob sie sich nach aussen oder innen öffnet. Man hält sie fest. Offen. Bis ich durch bin. Mit etwas Sensibilität hättest du auch feststellen können, dass mein Puls schon etwas erhöht war. Nicht nur vom Laufen. Steht man dann endlich vor dem reservierten Tisch, lässt man sich nicht einfach auf den Stuhl fallen, zieht das Smartphone aus der Tasche und vergisst die Welt um sich. Während ich mich noch aus meiner Jacke schäle. Hat es dich überrascht, dass ich nach zwei Minuten meine Jacke wieder angezogen habe? Hey, aber wenn mich jemand einlädt, setze ich ein gewisses Interesse voraus. An mir. Wenn man mich dann noch als aufmerksamkeitsgeile blöde Zicke beschimpft vergesse ich meine Manieren. Sorry, dass ich dir vor versammeltem Publikum eine geklatscht habe. Und jetzt geh deinen Namen tanzen, mach einen betreuten Origami-Kurs oder umarme Bäume. Aber nicht mich. Arsch.

Morgen wieder Schule...auch wenn es noch nicht wirklich los geht. Und auch die nächsten Tage wohl eher noch ein in Klassräumen sitzen und die Zeit bis Schulschluss totschlagen sein wird. In den Pausen werden dann die Neuen beschnuppert, es bilden sich erste Meinungen und Grüppchen. Einige werden sich fragen, warum sie hier nicht mehr dazugehören, andere warum da plötzlich schon. Die Strukturen werden sich festigen, die Regeln geschrieben und das Spiel beginnt. Ein Spiel vor fast leeren Rängen. Ein Spiel, das nur sich selbst zum Zweck hat. Ich werde auf der Tribüne sitzen. Manchmal den Kopf schütteln, mich ab und zu wundern, aber meist lächeln. Und niemanden anfeuern.

Hors jeu...Anne

"Suesse, dir fehlen die Titten dazu." sagt B.
Tja, was soll ich sagen. Wo sie recht hat...Ich streife mir ihr trägerloses Kleid, das wie ein Sack an mir hängt, über den Kopf.
"Aber mir gefallen sie, genau so wie sie sind." Ich spüre ihre Hände und geniesse es für einige Sekunden, dann schiebe ich sie sanft weg.
"Damit bist du dann wohl alleine."
"Quatsch, wer schaut bei dir schon darauf."
Ich ziehe mir die Bluse an. Jeans. Schlüpfe in die Schuhe. B. sieht mir schweigend zu. Setze mich auf einen Stuhl.
"Und?" Ich sehe B. fragend an, obwohl ich die Antwort schon weiss.
"Du willst es im Augenblick perfekt. 150%. Nicht weniger."
"Was ist daran falsch?"
"Wenn du Lust auf Pizza hast, es in der ganzen Stadt aber nur Nudeln gibt, würdest du deswegen verhungern wollen?"
Ich schüttele den Kopf.
"Siehst du. Da nimmt man was da ist, wenn der Hunger gross genug ist...Gehen wir Pizza essen?"
"Ist doch erst 3..."
"Dann haben wir ja noch jede Menge Zeit...warum hast du dich eigentlich wieder angezogen?"
Das frage ich mich einige Sekunden später dann auch.

Mit 14 gehörte ich nicht zu den Mädchen, denen die Jungs aus der Schule hinterher liefen. Die auf Feten eingeladen wurden, oder mit denen man ins Kino oder Eis essen wollte. Ich empfand mich nicht als hässlich. Im Gegenteil, in meinen Augen sah ich ganz hübsch aus. Aber meine Wirkung auf das andere Geschlecht war keine. Auf dem Schulhof gab es immer einige Mädels, um die sich in den Pausen Jungs tummelten. Okay, sie hatten vielleicht etwas mehr Titten, schminkten sich...aber attraktiver machte sie das aus meiner Sicht nicht. Meine Sicht. Die Jungs sahen das wohl etwas anders. Während meine Freundinnen und ich abseits standen und dieses Treiben neidisch beobachteten. Wir waren ihnen egal. Ausser, wenn sie einmal wieder bei einer von uns Hausaufgaben abschreiben wollten. Irgendwann fiel dann bei mir der Groschen. Es lag nicht am Aussehen...ich musste nur dahin, wo mich niemand kannte. Meine Noten konnte man mir nicht ansehen.

Wenn ich meine Ecken und Kanten habe, dann hat das seinen Sinn. Also versuche nicht, mich mit deiner billigen Feile aus dem Baumarkt zu bearbeiten. Ich will nicht rund werden, nur damit es dir passt. Selbst Puzzle-Teile haben ihr Eigenleben.