Call_me_Anna

Am frühen Abend bin ich am Ziel. Es nieselt und ich versuche den Pfützen auszuweichen. Mich friert, und ich ziehe die Jacke enger um mich. Aber die Kälte kommt von innen. Ich erkenne Nils schon von weitem. Er wartet, wie abgemacht, vor der 'Anna'. Eine etwas längere Umarmung, einige wenige Worte. Es gibt nicht viel zu reden. Der Plan für morgen steht. Ich frage mich, wen er vor sich sieht. Mich? Sie? Ihn zu fragen, dazu fehlt mir der Mut. Dann verabschiedet er sich. Innen läuft die Heizung, es ist angenehm warm. Und mir ist immer noch kalt. Ich kontrolliere Wasser, Diesel...alles ok. Der Schluck aus der mitgebrachten Flasche brennt. Eine Zigarette oben. Noch ein Schluck. Noch eine Zigarette...Warten auf Morgen.

In einigen Stunden geht es für zwei Tage in den Norden. Alte Heimat. Und mein Versprechen einlösen. Manchmal zweifle ich. War es richtig? Aber im nächsten Augenblick bin ich mir sicher. Du hättest es so gewollt. Auch wenn wir nie darüber geredet haben. Wir waren zu jung. Der Tod gehörte den Alten.

Roter Sand...Anne

Meine Ferienwoche erfüllt alle gängigen Klischees. Wolkenloser Himmel und Sonne von morgens bis abends. Blaues Meer und weisser Sand. Die Nächte fast zu warm und sternenklar. Und auch die Protagonisten in diesem kleinen Mikrokosmos. Wie aus einem schlechten Film im Samstagabendprogramm. Da ist die italienische Familie, deren Sohn mich als unwilliges Opfer für seine pubertären Spiele auserwählt hat. Gut, Alternativen gibt es für ihn nicht. Dafür steht er in Konkurrenz zu seiner Schwester. Dann das Pärchen, das sich ständig streitet, und ich mich jeden Tag frage, wer als erster seinen Koffer packt. Schliesslich noch der ältere Engländer, der beharrlich eine Deutsche in den Vierzigern anbaggert. Sie erträgt es mit stoischer Gelassenheit, lässt sich dafür nachts von einem der Angestellten beglücken.
Für mich verliert die Zeit ihre Kontur. Nichts ist wichtig, oder, alles gleich wichtig. Wie man es nimmt. Und es herrscht kein Zwang, etwas machen zu müssen. Ich kann hier tun und lassen was ich will. Wann ich will. Die Wahl für den Belag meines Brötchens am morgen gehört schon zu den schwierigsten Entscheidungen des Tages. Alles andere wird sich ergeben...irgendwann...es ist ein Treiben durch den Tag, dem ich mich nicht entgegenstemme.
Bis ich wieder am Flughafen stehe und mich das Grauen einholt.

Eine Insel. Ein kleines Hotel. Das Meer in wenigen Minuten zu Fuss erreichbar. 500 Meter Strand werde ich mir mit 11 anderen Gästen teilen. Oder bleibe am Pool. Es gibt keine Unterhaltung. Nur Selbstbespassung. Und Ruhe. Zeit für mein Gefühlschaos.

Ich bin dann mal weg...all exclusive. Ich glaube es wird famos.

Gestern endlich einmal wieder mit B. unterwegs. Ein wenig aufgehübscht. Clubbing. Wir amüsieren uns. Flirten. Irgendwann steht plötzlich P. neben mir. Den ich hier noch nie gesehen habe. Den ich seit Monaten nicht mehr gesehen habe. Lacht mich an, umarmt mich und drückt mir Küsschen auf die Wangen. Shit, denke ich mir. Und dann habe ich diesen Kloss im Hals. Ich schlucke und schlucke. Nichts. Er steckt fest. Ich glaube keine Luft mehr zu bekommen. Reden geht schon gar nicht. Nur ihn anstarren. Das geht. Mühsam wende ich den Kopf ab. Es wird besser und ich bemerke die Schwarzhaarige hinter ihm. Die Frage, ob sie zu P. gehört, erübrigt sich. Ihr Blick spricht Bände. Dann rutscht der Kloss nach unten und ich wende mich wieder P. zu. Wir tauschen einige Worte, die Schwarzhaarige nimmt seine Hand. Besitzverhältnisse geklärt. Als er weg ist bin ich verwirrt. Über ihn, mehr aber noch über mich. Was war das jetzt, Anna? Du hast ihn doch vor einigen Monaten selbst abgeschossen. Meine Laune ist im Keller. B. merkt auch was los ist. Legt den Arm um mich und fragt ob wir gehen sollen. Ich nicke. Spass habe ich an diesem Abend sowieso nicht mehr. Im Bett versuche ich meine Gedanken zu sortieren. Bis ich merke, dass die Gefühle zu mir unter die Decke kriechen und sich breit machen.

Troublé...Anne