Mittwoch, 28. Mai 2014
71
Als ich nachmittags aus der Stadt nach Hause will, fängt es auf dem Weg zur U-Bahn an zu regnen. Wolkenbruch. Und keinen Schirm dabei. Ich flüchte mich mit Anderen unter ein schmales Vordach. Das Wasser tropft auf meine Schuhe. Ich presse mich an die Wand. Shit. Fluche vor mich hin. Na, na, höre ich neben mir. Der Typ fummelt an seinem Schirm. Automatik. Die Automatik mag nicht. Ziehen, dann drücken, sage ich. Der Schirm geht auf. Er lacht. Sympathisch. U-Bahn? Ich nicke. Dann komm. Er nimmt meinen Arm und wir laufen. Gott sei Dank habe ich die Slipper an. Kann sein Tempo mithalten. Als wir im Trockenen sind frage ich ihn ob ich mich revanchieren kann. Deute auf ein Cafe. Sorry, mein Freund wartet zu Hause auf mich. Läuft weiter und lässt mich stehen.
Langsam gewöhne ich mich daran...will heissen, dass ich nichts anderes erwartet habe. Wäre ja zu schön gewesen. Ach Scheisse.
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Dienstag, 27. Mai 2014
70
2te Pause. Es ist wie ein Ritual. Wir sitzen auf unserer Bank. K. rechts, ich links. B. ist nicht da. K. liest, wie meistens. Manchmal unterhalten wir uns auch. Obwohl man das nicht unterhalten nennen kann. Wir werfen uns Worte zu. Pingpong. Mehr ist es nicht. Aber es ist genug. Wir verstehen uns.
Ich bin niedergeschlagen heute. Sage fast nichts. Starre vor mich hin, in die Leere. Irgendwann rutscht K. neben mich. Kein Problem, sagt er in die Stille. Und ich lege vorsichtig meinen Kopf an seine Schulter. Er streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht. Einen Halt, das ist es was ich jetzt brauche. Wenn auch nur für einige Minuten. Manchmal habe ich den Eindruck, dass er meine Gedanken lesen kann. Ich ein offenes Buch für ihn bin. Ich schliesse die Augen, als er mir leise vorliest. Proust, denke ich. Proust, sagt K. Ich muss lächeln. Und beneide seine Freundin.
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Dienstag, 27. Mai 2014
69
Es ist ein langsames Sterben. Der Tod lässt sich Zeit. Und du hoffst, dass es jetzt zu Ende ist. So oder so. Bis zur nächsten Welle. Und wenn du die überlebst, hast du wieder 30 oder 60 Sekunden. Länger gelebt. Und du hoffst wieder. Bis dir das Wasser den Atem aus den Lungen presst. Und warten auf die nächste Welle. Wann hört es auf? Aber es hört nicht auf. Und irgendwann gibst du auf. Aber etwas in dir möchte weiter leben. und es kämpft. Zwingt dich an ein Überleben zu glauben.

Seit diesem Tag habe ich keine Angst mehr vor dem Tod. Nur noch Angst vor dem Sterben.
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68
Nach der Schule bin ich am Fluss. Ich war schon lange nicht mehr hier. Dabei liebe ich das Wasser. Wenn es fliesst. Sich bewegt. Ich bin am Wasser aufgewachsen. Mit ihm aufgewachsen. Auf ihm aufgewachsen.
Die Nordsee wäre fast zu meinem Grab geworden. Unserem Grab. So etwas verbindet. Auch mit dem Wasser. Diese Minuten, Stunden bleiben mir wohl für immer. Wenn ich Wasser sehe, gilt der erste Gedanke unweigerlich meinem Tod. Und L. Seinem Tod. Seinem leeren Sarg.
Dann sitze ich am Ufer. Beobachte, was alles an mir vorbei treibt. Spült es mich an das Ufer? Oder treibe ich weiter. Bis meine Kraft nachlässt. Den Untergang vor Augen.

Memories, Anna...
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