Call_me_Anna

B. versucht mich heute in der Pause zu überreden, sie abends auf eine Party zu begleiten.
"Du wirst sehen, es wird klasse. Wir werden tanzen, Cocktails schlürfen, die Kerle werden sich um uns reissen und vögeln uns mit unvergesslich fabelhaftem Sex in den Mai."
"Du hast das Heiraten vergessen," erwidere ich lachend. Überzeugend sind ihre Argumente nicht, aber während ich noch überlege, stehe ich in Gedanken schon vor meinem Kleiderschrank. Die Anna in mir hat sich also bereits entschieden, dagegen komme ich nicht an. Ich sage zu. B. knufft mich in die Seite.
"Spitze, Süsse, ich bin um 8 bei dir." Sie eilt davon, die Pause ist fast zu Ende, als sie sich noch einmal umdreht und über den Hof ruft.
"Und nimm vorsichtshalber Gummis mit."
Ich werde rot bis in die Haarspitzen und könnte im Boden versinken, während sich gefühlte tausend Augenpaare auf mich richten.

Wir lebten ihn unbeschwert, diesen Sommer. Obwohl wir wussten, es würde unser letzter sein. Aber es war auch unser erster.
Noch nie war die Sonne so hell, der Himmel so blau gewesen. Alles so intensiv. Und wir lebten Uns intensiv.
Wir dachten nicht an das Ende. Hatten uns verboten die Tage bis dahin zu zählen. Wir zählten die gemeinsamen Tage, jeden einzelnen.

187

Der letzte Kuss, die letzte Umarmung. Ich bringe kein Wort heraus, fühle nichts mehr. Apathisch steige ich ins Auto, obwohl es in mir kocht.
Ich explodiere als wir das erste Mal auf einem Rastplatz halten. Ich will zurück. Trete Beulen in das Auto als Dad mich daran hindert auf die Autobahn zu laufen. Renne zur Toilette, sperre mich ein. Dann wird alles schwarz.
Später wird man mir sagen, dass ich nach 10 Minuten die Tür geöffnet hätte und dann zusammengebrochen bin. Mit dem Schmerz, als mein Kopf auf dem Boden aufschlägt, setzt bei mir das Denken wieder ein.

erst 6 Monate, Anna...

K. ist seit heute neu in der Klasse. Unauffällig, schweigsam. Komischer Typ. Er war bisher im Internat, sagt er, als er sich vorstellen soll, mehr nicht.
In der zweiten Pause sitzt er auf meinem Lieblingsplatz, liest. Ich denke kurz darüber nach mich woanders hinzusetzen, überlege es mir anders.
"Darf ich mich setzen? Ich sitze hier auch immer." Es klingt fast als wolle ich mich entschuldigen.
Er hebt kurz den Kopf, sieht mich an, rutscht etwas zur Seite.
"Klar."
Als B. später kommt und mich fragend ansieht zucke ich nur mit den Schultern.
Nach der letzten Stunde verlasse ich einige Meter hinter K. die Schule. Ein Mädchen läuft auf ihn zu. Hübsch, blond. Umarmt ihn, küsst ihn demonstrativ. Klärt Besitzverhältnisse, markiert ihr Revier.

Dumme Anmachsprüche, unterirdisch angegraben worden... Und dann noch der Typ, dem ich, nach Vorwarnung, eine geklatscht habe, weil er glaubte im Gedränge fummeln zu können. Forget it.
Und für dich, ja dich, gilt das gleiche. Nur weil ich mich von dir einladen lasse, heisst das noch lange nicht, dass du mir an die Wäsche darfst, also zieh ab. Die Regeln bestimme ich.
Aber du da hinten, warum guckst du immer nur her?...siehst nett aus...Könntest mich ja mal Ansprechen...traust dich nicht? Naja, weisst du,
Selbstbewusstsein war noch nie mein Ding...Ich trau mich auch nicht zu dir zu gehen. Wir könnten dann ja ein bisschen reden...das wäre doch schon mal ein Anfang...ich würde mich vielleicht auch ein wenig an dir anlehnen...könnte ich jetzt brauchen...Nicht?...du gehst schon?...Schade.

lonely, Anna...